pte20051108028 Medizin/Wellness, Forschung/Entwicklung

Antidepressiva können Depressionen verursachen

Experten: Falsche Gebrauchsinformationen und irreführende Reklame


Washington/Wien (pte028/08.11.2005/11:54) Es wäre wohl zu einfach Depressionen lediglich auf ein Ungleichgewicht des Botenstoffs Serotonin zu reduzieren. Experten des Lake Erie College of Osteopathic Medicine in Bradenton, Florida, http://www.lec.edu kritisieren jedenfalls die irreführende Werbung für Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Prozac, Zoloft und Paxil. Manchen mögen diese Medikamente bereits geholfen haben, allerdings gebe es auch gegenteilige Effekte, berichtet das Wissenschaftsmagazin Nature http://www.nature.com . Die Medikamente werden auch in Europa unter anderen Handelsnamen verkauft.

Die Kritik der Wissenschaftler um Jonathan Leo kommt in einem denkbar günstigen Moment. Erst vorige Woche veröffentlichten Forscher der Columbia University im Wissenschaftsmagazin Science eine Studie wonach es in Tierversuchen mit SSRI-Antidepressiva bei Jungen zu Störungen im Erwachsenenalter gekommen war. Die Jungtiere, die mit Prozac behandelt wurden, zeigten nämlich ähnliche Symptome wie Erwachsene mit einem Gendefekt, bei dem der Serotonintransport gestört ist. Leo kritisiert nun, dass der Mechanismus hinter diesen Wirkungen der Medikamente weitgehend unklar sei. Ein Serotonin-Defizit konnte niemals eindeutig als Ursache für Depressionen nachgewiesen werden. Versuche durch eine Verringerung des Serotonins im Hirn künstlich eine Depression einzuleiten scheiterten.

Leo meint außerdem, dass andere Studien gezeigt haben, dass Übungen, Placebo und Medikamente, die nicht auf den Serotonin-Haushalt wirken, mindestens genauso gut - wenn nicht sogar besser - auf die Psyche wirken als die SSRI. Zustimmung bekommt Leo dabei auch von Irving Kirsch von der University of Plymouth. "Die Wirksamkeit anderer Antidepressiva scheint mindestens genauso gut zu sein", so der Experte. Dass ein reines Stoffwechsel-Ungleichgewicht zu einer psychischen Erkrankung führt, zweifeln sehr viele Experten an.

"Es ist erfreulich, wenn es seitens der Schul- und Labormedizin Einwände gegen diese vereinfachte Darstellung gibt", erklärt die Wiener Psychiaterin Bettina Reiter gegenüber pressetext. Neben den SSRI werden auch Noradrenalin-Wiederaufnahme Inhibitoren (NARI), die vergleichbar sind, am häufigsten gegen Depressionen und Verstimmungen verschrieben. Reiter kritisiert zudem, dass es über das Internet praktisch einfach sei, diese "mood stabilisers" zu erwerben. "Es steht außer Zweifel, dass die Neurotransmitter eine Rolle bei der Steuerung von Gefühlen spielen. Allerdings sind diese Zusammenhänge wesentlich komplexer", so die Medizinerin, die auch Geschäftsführerin der Akademie für Ganzheitsmedizin http://www.gamed.or.at in Wien ist. Der Trend sich nicht mit den tatsächlichen Problemen zu beschäftigen, sondern ein gut verträgliches Medikament einzunehmen, das die Stimmung verändert, sei letztlich nicht zielführend. "Alle tun allerdings weiterhin so, als ob es in Ordnung wäre", so Reiters Kritik im pressetext-Gespräch.

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