pte20080904001 Unternehmen/Wirtschaft, Bildung/Karriere

Unternehmen bezahlen Hochschulen für Fachkräftefahndung

Lukrativer Handel mit Absolventenbüchern gerät unter Beschuss


Unternehmen lassen sich Vermittlung in Rechnung stellen (Foto: pixelio.de, Rainer Sturm)
Unternehmen lassen sich Vermittlung in Rechnung stellen (Foto: pixelio.de, Rainer Sturm)

München/Düsseldorf (pte001/04.09.2008/06:00) Für die Vermittlung von Spezialisten gehen Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels zunehmend den direkten Weg über Hochschulen und bezahlen diese für ihr "Engagement". Die Vorteile der Vorgehensweise liegen für den Großteil der Konzerne auf der Hand. Zum einen reduzieren sich die Kosten für die Veranstaltungen auf ein Minimum. Andererseits lässt sich somit eine breite Masse an potenziellen Arbeitnehmern ansprechen. Wie die Financial Times Deutschland schreibt, zahlt sich dieses Vorgehen unter anderem für den Autozulieferer Bosch http://www.bosch.de aus. Allein die spezielle Vorlesungsreihe "Technologieführer der Automobilbranche", in der Top-Manager an der Universität Stuttgart über Produktionsabläufe und neue Technologien berichten, zählt pro Veranstaltung mehr als 600 Studenten.

"Dass sich Unternehmen öffnen und Kooperationen mit den Universitäten und Hochschulen eingehen, ist ein zunehmender Trend, der zwar noch am Anfang steht, jedoch sehr zu begrüßen ist", sagt Michael Schwartz, Sprecher des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) http://www.vdi.de , gegenüber pressetext. Wegen der begrenzten Fachkräftesituation bieten Großkonzerne wie der Energieversorger E.ON laut Schwartz unter anderem Dauerpraktika und Nachwuchsprogramme für Studenten an. Die Tendenz zum lukrativen Werbekanal über den Hörsaal haben aber auch viele Bildungseinrichtungen erkannt und verlangen zusehends Geld für die Wahrnehmung dieser "Serviceoption". Als Beispiel hierfür sind vor allem sogenannte Absolventenbücher zu nennen, in denen Studierende auf freiwilliger Basis ihre Kontaktdaten hinterlegen können. So verlangt die Universität Münster beispielsweise knapp 2.000 Euro für 300 Datensätze.

Da Studenten somit nicht nur als potenzielle Nachwuchskräfte, sondern auch als Konsumenten für höhere Bildungsinstitutionen interessant sind, ist der Handel mit diesen Kontaktdaten umstritten. Obwohl Schwartz zufolge eine Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und der Industrie generell zu begrüßen ist, sieht der VDI-Sprecher dieses Geschäftsgebahren als "schwierig". Auch andere Experten finden dafür klare Worte: "Absolventenbücher sind eine unzeitgemäße Form des Marketings, die die Tür für allerlei Mätzchen öffnen", wird etwa Jochen Taaks, Geschäftsführer der Universität Hamburg Marketing, in dem Bericht zitiert. Vor allem der Datenmissbrauch mit Absolventenbüchern bietet Kritikern ausreichend Angriffsfläche. Die private WHU Vallendar beispielsweise verschickt die Absolventenbücher nur noch an ausgewählte Partnerunternehmen, um die Studenten "vor Missbrauch durch Banken und Finanzdienstleister zu schützen", heißt es seitens der Management-Schule.

Da rund 50 Firmen jedes Jahr auf dem WHU-Campus zu Gast sind, wirft die eigene Karrieremesse "durchaus Beträge ab, die in den Haushalt zurückfließen", lässt sich ein WHU-Sprecher zitieren. Ab 5.000 Euro können sich Firmen auf einer solchen Messe präsentieren. Wenn Förderer der WHU es wünschen, organisiert diese auch eigene Auswahltage auf dem Campus oder schickt Jobangebote in einem Newsletter an passende Studenten. Aber auch staatliche Einrichtungen haben die Zeichen der Zeit erkannt. Für eine Anzeige mit Logo und Firmenportrait in der hochschuleigenen Jobbörse zahlen Unternehmen bei der Universität Hamburg 90 Euro, während Aushänge im Foyer 15 Euro und Partnerbanner 750 Euro kosten. Dass sich diese Art der Mitarbeiterwerbung inzwischen als Trend in vielen Großkonzernen etabliert hat, zeigt sich auch beim US-amerikanischen Computer-Software- und -Hardware-Hersteller IBM http://www.ibm.com .

So hat der international agierende Großkonzern in der Bundesrepublik eigens zu diesem Zweck ein Dozentenprogramm aufgebaut. Auf diese Weise halten insgesamt 220 Mitarbeiter an den deutschen Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien Ausschau nach Bewerbern. Laut dem VDI hat sich die Lage offener Stellen am deutschen Ingenieurarbeitsmarkt vor allem in Hinblick auf den Technologiestandort über die Jahre hinweg zu einem dramatischen Problem entwickelt. So stieg die Zahl offener Stellen bei Ingenieuren im Juni dieses Jahres auf rund 96.000 an. Damit ist eine Verdopplung der gemeldeten Stellen zu verzeichnen - 2004 waren es "nur" 50.000 (pressetext berichtete: http://www.pte.at/pte.mc?pte=080709015).

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