pte20090910040 Medien/Kommunikation, Politik/Recht

"Wer bezahlt, bestimmt, was gespielt wird"

ROG-Bericht zeigt Unabhängigkeitsproblem russischer Journalisten


Russische Medien kämpfen mit einem Unabhängigkeitsproblem (Foto: reporter-ohne-grenzen.de)
Russische Medien kämpfen mit einem Unabhängigkeitsproblem (Foto: reporter-ohne-grenzen.de)

Berlin (pte040/10.09.2009/15:45) Journalisten und Medien können in Russland vielfach nur durch finanzielle Zuwendungen regionaler Verwaltungen, Politiker und Unternehmen überleben. Die ökonomische Notlage übernimmt dabei die Aufgabe einer Zensurbehörde. Wer sich jedoch durch umsichtige Finanzierungsmodelle wirtschaftlich unabhängig macht, kann sich auch inhaltliche Freiräume schaffen. Zu diesem Ergebnis kommt ein aktuell präsentierter Bericht von Reporter ohne Grenzen (ROG) http://www.reporter-ohne-grenzen.de zur Lage der Pressefreiheit in den russischen Regionen, der heute, Donnerstag, in Berlin vorgestellt worden ist. "Das Grundproblem besteht in langjährigen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Medien und lokalen Machthabern aus Politik und Wirtschaft. Viele Medien würden ohne regelmäßige Zuwendungen staatlicher Behörden oder Oligarchen gar nicht existieren. Der Preis ist oft die Aufgabe der redaktionellen Unabhängigkeit", stellt Anja Viohl, Pressereferentin der deutschen ROG-Sektion, gegenüber pressetext fest.

"Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird - die meisten russischen Journalisten haben sich an diese Regel längst gewöhnt", heißt es im ROG-Bericht. Inhaltliche Unabhängigkeit der Redaktion vom Besitzer des Mediums ist demnach ein weitgehend unbekanntes Phänomen. Zudem seien die Grenzen zwischen redaktionellen und bezahlten Inhalten fließend. "Image-Reklame und 'sakasucha' gehören zum Alltag russischer Medien", schreiben die Autoren des ROG-Atlas. Mit "Image-Reklame" werden in Russland von Journalisten verfasste Werbe-Artikel für einen Politiker oder Geschäftsmann bezeichnet, die für den Leser als PR-Material nicht zu erkennen sind. Noch weitreichender sei das Genre 'sakasucha' (von russ. 'sakas' = Bestellung). "Einige Zeitungsjournalisten werden dafür bezahlt, in ihren Artikeln einen politischen oder ökonomischen Gegner zu kompromittieren", erläutert Viohl.

Ein pauschales Urteil über das berufliche Dilemma der Kollegen in Russland sei aber nur schwer möglich. "Die Freiräume für Journalisten sind von Region zu Region sehr unterschiedlich. Als Behördenvertreter beispielsweise in einer Redaktion in Swerdlowsk anriefen und Änderungen eines Berichts wünschten, beharrten die Journalisten auf ihrer Sicht der Dinge", erklärt Viohl. Diejenigen Medienvertreter, die es wagen würden, "heiße" Themen aufzugreifen, könnten sich in der Regel aber sehr schnell vor einem Gericht wiederfinden, wo sie sich mit Verleumdungsklagen konfrontiert sehen würden, einem beliebten Instrument von Beamten und Geschäftsleuten im Kampf gegen eine unliebsame Berichterstattung. Laut ROG gibt es aber auch hier Positivbeispiele wie die Region Perm, in der Journalisten von einem fairen Umgang der Justiz mit den Medien berichten. Dort hätten die Richter bei den meisten Klagen von Behörden gegen Medienvertreter zugunsten der Journalisten entschieden.

In anderen russischen Regionen sehe es aber weitaus düsterer aus. So könnten etwa auch gewalttätige Übergriffe gegen Journalisten nicht ausgeschlossen werden, wie Beispiele aus Primorje, Altai oder dem Moskauer Gebiet zeigen. "Wir beobachten die Entwicklung in Russland bereits seit längerer Zeit und versuchen betroffene Journalisten zu unterstützen. Ziel des aktuellen Berichts ist es vor allem, Bewusstseinsbildung für diese Problematik zu schaffen. Die redaktionelle Unabhängigkeit muss auf alle Fälle gewahrt werden", so Viohl abschließend.

ROG-Atlas "Helden und Handlanger. Die Arbeit von Journalisten und Medien in den russischen Regionen" (pdf-Download):
http://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/rte/docs/2009/ROG-Atlas.pdf

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