pte20100920016 Medien/Kommunikation, Politik/Recht

Mexiko: Zeitung resigniert vor Drogenmafia

Angebot zur Selbstzensur unter Kontrolle der Kartelle


Ciudad Juarez: Stadt in den Händen der Drogenkartelle (Foto: Wikimedia Commons/Schwen)
Ciudad Juarez: Stadt in den Händen der Drogenkartelle (Foto: Wikimedia Commons/Schwen)

Ciudad Juarez/Paris (pte016/20.09.2010/12:10) Die größte Zeitung der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez wird in Zukunft nicht mehr über den Drogenkrieg in der Stadt berichten. Wie die Zeitung "El Diario" http://www.diario.com.mx am gestrigen Sonntag in einem Leitartikel auf der Titelseite verkündete, strebt sie eine Waffenruhe mit den Drogenkartellen an, die die "wahre Autorität" in der Stadt seien.

Damit reagiert die Redaktion auf die Ermordung des 21-jährigen Fotografen Luis Carlos Santiago Orozco, einen bei der Zeitung arbeitenden Praktikanten. Er wurde am vergangenen Donnerstag in einem Einkaufszentrum mit einem Kopfschuss getötet, sein Begleiter schwer verletzt. Bereits 2008 war ein Journalist der Zeitung erschossen worden.

"Was wollt ihr von uns?"

Der Leitartikel wendet sich direkt an die Drogenbanden der Stadt. Für alle Journalisten der Zeitung und deren Familien seien die beiden Morde ein Schaden, der nicht wieder gut zu machen sei. "Wir wollen keine Toten mehr und auch keine Verletzten oder Einschüchterungen. Unter diesen Umständen ist es uns unmöglich, unsere Aufgabe weiter auszuüben", schreibt die Zeitung. Die Tatmotive seien nicht klar. "Wir sind Nachrichtenvermittler, aber keine Wahrsager. Erklärt uns daher bitte, was ihr von uns als Zeitung fordert, was publiziert werden soll oder was wir in Zukunft nicht mehr publizieren sollen, damit wir einen Anhaltspunkt haben."

Die Botschaft selbst ist laut "El Diario" keine Kapitulation, sondern ein Waffenstillstand. "Die Gruppen des organisierten Verbrechens sind derzeit die wahre Autorität in der Stadt. Denn die Behörden unternehmen nichts dagegen, dass unsere Journalistenkollegen weiter sterben." Die Kritik richtet sich auch direkt gegen Präsident Felipe Calderon. Dieser habe sich nur im Wahlkampf für besonderen Schutz von Journalisten eingesetzt, diesen jedoch nie umgesetzt. Anstatt Journalistenmorde aufzuklären, suche man nur Sündenböcke dafür. Zudem verkenne der Krieg Calderons gegen die Drogenkartelle die Übermacht des Feindes sowie die Folgen für das Land.

Gefährlichste Stadt der Welt

Die 1,4-Millionen-Stadt Ciudad Juarez ist seit Beginn des Drogenkriegs 2007 die gefährlichste Stadt der Welt. Bis zu zehn Morde werden hier täglich registriert. 27 Journalisten wurden in den vergangenen Jahren ermordet und 74 eingeschüchtert. "Im Moment sehen wir keinen Sinn darin, die Sicherheit so vieler Kollegen aufs Spiel zu setzen, damit ihre wertvollen Leben als Vehikel von Nachrichten zwischen den verschiedenen Kartellen oder von diesen in Richtung Regierung missbraucht werden", so die Zeitung.

Benoit Hervieu, Südamerika-Referent von Reporter ohne Grenzen http://en.rsf.org in Paris, verdeutlicht gegenüber pressetext die Dramatik des Problems. "Durch diesen Schritt zensuriert sich El Diario nicht nur selbst, sondern erlaubt auch, dass diese Zensur unter Kontrolle der Drogenkartelle geschieht", so der Experte. Klar sei, dass die Umstände für Journalismus in der Stadt die denkbar schwierigsten sind. "Vor allem fällt ins Gewicht, dass die Behörden die Medien nicht schützen und die Zwischenfälle zuwenig aufklären", betont auch Hervieu.

El Diario-Leitartikel "Que quieren de nosotros?" unter http://www.diario.com.mx/notas.php?f=2010/09/19&id=ce557112f34b187454d7b6d117a76cb5

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